Sabir Azeri

(geb. 1938)

Der grüne Duft der Wiesen

Übersetzung: H. Achmed Schmiede

Die Straße schien zu brennen - flammengleich züngelte die vom Asphalt aufsteigende Luftspiegelung empor. Sie hatten die Scheiben heruntergelassen, der Wind trieb sein Spiel im Wageninnern. Aber statt zu kühlen, versengte er ihnen die Gesichter. Dem Fahrer Hassan brannten die Augen, er hatte Mühe, sie offen zu halten. Seine Hände wurden feucht, ein um das andere Mal streckte er den linken Arm aus dern Fenster dem Fahrtwind entgegen. Selimzade trug eine Sonnenbrille, aber die drückende Hitze brannte auch ihm in den Augen, die ihm schließlich zufielen. Nur wenn der Wagen uber Bodenwellen rollte, öffnete er sie, blickte wütend auf Hassans schweißüberströmte, fleischige Wange und zischte: „Langsam!" Wenn er dann wieder in die in Flammen stehende, ausgestorbene Straße vor sich und um sich herum in die grau in grau daliegende, versengte Steppe blickte, musste er erneut die Lider schließen. Er spurte einen schmerzhaften Druck in der Herzgegend, bekam kaum Luft. Er bereute es, bei diesem Wetter eine Dienstreise angetreten zu haben, und das mit einem Fahrer, dessen Eigenheiten er nicht kannte, der dauernd vor sich hinbrabbelte und über dessen fleischige Wangen Schweiß lief. - Es heißt nicht umsonst: Wie der Hund, so der Herr. Genau wie der vorige Direktor; offenbar total ungehobelt. - Er holte ein Validol aus der Tasche und legte es sich unter die Zunge. Kühle breitete sich im Mund aus. Wieder schlingerte der Wagen. Selimzade, der in Gedanken bei seinen Kindern gewesen war, schrie auf: „Fahr doch wie ein Mensch!"


 

„Was so! I ich machen, die Straße ist schlecht..." „Nicht die Straße ist schlecht, du bist ein schlechter Fahrer." Hassan  ließ die Muskeln  seines  kräftigen, schwarzbraunen Handgelenks spielen, und Selimzade schluckte bei diesem Anblick seinen Zorn hinunter. 'Vor dem muss ich mich in Acht nehmen', dachte er. 'Dem schaut das Blut nur so aus den Augen. Der macht einen mitten in der Wüste fertig. Oder schleppt einen in den Wald, wo er am tiefsten ist. Dann sind meine Kinder Waisen. Nein, diese eine Woche musst du dich beherrschen.Sobald wirzurück sind, schmeißt du ihn raus..." Ein Taxi stand am Straßenrand. Der Fahrer trat ununterbrochen mit der Stiefelspitze gegen den platten Reifen. Als er das Motorengeräusch hörte, hob er den Kopf. Beim Anblick des schwarzen GAZ 24 ließ er die Hand sinken. Hassan nahm den Fuß vom Gaspedal, der Wagen wurde langsamer. Selimzade machte die Augen auf und fragte mürrisch: „Was ist los?" „Der arme Kerl hat eine Reifenpanne. Vielleicht braucht er Hilfe „Na und? Den Ersatzreifen können wir ihm ja  doch  nicht geben."


 

Bis zur nächsten Stadt giinge das schon!

„Und was ist, wenn wir auch eine Panne haben? Fahr weiter!"

Der Fahrer Hassan gab Gas und murmelte etwas, das Selimzade

nicht verstand. Der Fahrer sagte dann nichts mehr, worüber sich Selimzade sichtlich freute. Denn wenn Hassan etwas sagte,

brannten dessen Worte wie Feuer, und brachten einen nur noch

zusätzlich in Hitze.

'Nein, nein, das ist kein Fahrer für mich', dachte Selimzade. 'Das ist ein Individualist, ein Großkotziger. Lass uns erst zurück sein!' Wieder rumpelte der Wagen. Ohne die Augen zu öffnen, schrie Selimzade: „Langsam!" Sofort verlor der Wagen an Fahrt. Selimzade machte die Augen auf, blickte ärgerlich zum Fahrer hinüber: „Warum kriechst du wie eine Blindschleiche?" „Die Straße ist voller Unebenheiten und Sie haben ja selber gesagt, ich soll langsam fahren..." „Also..." wieder fiel sein Blick auf Hassans starkes, sehwarz braunes  Handgelenk,   und   wieder spielten   die  Muskeln   an diesem Handgelenk. Selimzade nahm die Brille ab, wischte sichden Schweiß aus dem Gesicht und setzte sie wieder auf. „Also, mein Sohn, Genosse, ich meine, du sollst über die Schlaglöcher langsamer fahren. Ich sage nicht, dass du in dieser gottverlassenen Gegend übernachten sollst."Aus der Kurve kam ihnen unversehens ein Laslwagen entgegen.Hassan schlug die Lenkung blitzschnell nach rechts ein. Der

Lastwagen pfiff an ihnen voruber. Selimzade war blass geworden.

„Die fahren nicht wie Menschen, diese Kerle!" sagte er. „Das

kommt davon, wenn man gleich jedem Cindskopf einen Führerschein gibt. Mann, ist mir die Zunge im Mund trocken

geworden. Und dann kein Wasser dabei!"

 Der Fahrer streckte die Hand aus und holte unter dem Sitz eine Flasche „Badamli" Mineralwasser hervor und presste die Daumenspitze gegen den Kronenkorken, - der Himmel mochte wissen, wie er das fertig brachte - dieser flog davon und prallte gegen die Windschutzscheibe. „Bitte sehr", sagte er. Selimzade nahm die Flasche: „Hast du kein Glas dabei?" „Nein."

Selimzade wischte die Flaschenöffnung mit der Handfläche ab, lehnte den Kopf zurück und setzte die Flasche an die Lippen. Durch die Schlingerbewegungen des Wagens stieß die Flasche gegen die Zähne. Das Wasser lief über den Anzug. Hassan hielt den Wagen an. Selimzade trank die Flasche zur Hälfte leer. Den Rest trank Hassan; dann schleuderte er die Flasche an den Straßenrand. Sie prallte gegen einen Stein und ging zu Bruch. Als sich der Wagen wieder in Bewegung gesetzt hatte, schloss Selimzade die Augen, musste sie aber schon im nächsten Augenblick wieder aufmachen, weil Hassan mehrmals hintereinander die Hupe betätigte. Der entgegenkommende Shiguli1 hupte zurück. Vorn am Kühler des Shiguli war eine Puppe befestigt. Sie vibrierte. Es sah aus, als würde sie im nächsten Augenblick vom Wind abgerissen werden. Der Bräutigam neben dem Fahrer saß kerzengerade da und hielt den Blick starr in die Ferne gerichtet. Die Braut im Fond zwischen zwei Mädchen beugtesich nach vorn und lachte glücklich. „Die haben sich auch die richtige Zeit zum Heiraten ausgesucht." Selimzade zog eine so saure Miene, dass man glauben mochte, er sei es, der verheiratet werden sollte. „Bei dieser Hitze läuft jeder seiner Frau davon und möchte am liebsten in ein Kühlhaus kriechen, aber dieser Sohn eines Despoten stürzt sich noch selbst ins Feuer!"

„Wahrscheinlich halten sie es bis zur kühleren Jahreszeit nicht mehr aus!"

Selimzade sagte nichts. Er schloss die Augen und fing an, leise zu schnarchen. Er glaubte sich wieder in Bilgeh2, im Garten. Er war frühzeitig aufgestanden und hatte sich auf den Weg zu den Uferfelsen gemacht. In den Gärten war alles still. Auf dem ganzen Weg sah er nur zwei alte Männer. Der eine machte sich im Gemüsegarten zu schaffen, wo er Unkraut jätete. Der andere stand auf dem Balkon und blickte aufs Meer hinaus, sah den schneeweißen Wellen zu, die wie Pferdemähnen gegen das Ufer schäumten. Bestimmt war dieser Alte ein Seemann. Näher herangekommen, sah er, dass der Alte tatsächlich ein Seemannshemd trug und trotz der morgendlichen Kühle die Ärmel aufgerollt hatte. „Selam, Onkel!" rief er laut. Der Alte zuckte zusammen und wandte sich ihm zu: „Wie meinen?" Selimzade blieb stehen: „Ich meinte, guten Morgen!"

„Ach ja, Morgen, guten Morgen!" Der Alte räusperte sich lautstark, blickte zu den tosenden Wellen und zog sich vom Balkon zurück.

Der Sand wurde immer tiefer, Selimzade sank ein und zog seine Schuhe, seine Strümpfe aus. Bei der ersten Berührung des feinen, kühlen, leicht feuchten Sands mit den nackten Fußsohlen schauderte ihn. Er beschleunigte seinen Schritt. Nach Verlassen der Gartenlandschaft begann er kräftig auszuschreiten, und seine Fußsohlen erwärmten sich. Der Horizont war jetzt in rotes Licht getaucht, und diese Röte senkte sich auch auf den Sandstrand nieder. Er stieg auf den Felsen, der wie ein ruhender Panther aussah. Jetzt stürzten die weißen Wellen auf ihn zu, leckten seine Füße und zogen sich wieder zurück. Nur Schaum blieb zwischen seinen Zehen. Möwen flogen kreischend umher, warfen sich den Wellen entgegen. Weit draußen auf dem Meer zeigte sich ein Schiff. „Herrgott, ist das eine Hitze!" Selimzade wunderte sich: „Was heißt hier Hitze, in aller Morgenfrühe am Meer, und  noch dazu bei diesem Wind?"  Ermachte die Augen auf, konnte aber nichts sehen, weil die Brille beschlagen war. Er nahm sie ab. Beim Anblick der hitzeüberfluteten Straße und Hassans schweißüberströmtem Gesicht wusste er, dass die soeben empfundene Kühle so etwas wie ein Traum gewesen war, während er selbst noch immer schwitzte. Er wischte sich mit dem Taschentuch den Hals ab, setzte die Brille

wieder auf und murmelte: „Endlich macht dir die Hitze auch zu schaffen!"„Zu schaffen, Genosse Selimzade, zu schaffen macht sie mirschon lange. Ich rede bloß nicht darüber." Auch Hassan wischte sich das Gesicht ab. Links, weit ab von der Straße, hatte man die Stoppelfelder in Brand gesetzt. Die Stoppeln brannten prasselnd. Infolge der. Windstille wollte der bläuliche Rauch nicht aufsteigen, blieb als Dunstschwade knapp über dem Boden hängen. Selimzade rief sich wieder Bilgeh und das windgepeitschte Meer in Erinnerung. Aber diesmal wollte sich keine Abkühlung einstellen.Der Fahrer Hassan hielt seinen linken Arm aus dem Fenster,

dem Wind entgegen. Unvermittelt meinte er, bunte Farben vor sich tanzen zu sehen. Er wischte sich über die Augen, sah genau hin und - dann plötzlich ein Knirschen. Selimzade knall-te mit der Stirn gegen die Windschutzscheibe. Zur Hitze kam

der Schmerz auf der Stirn und der Schreck. Er brüllte: „Mensch, fahr doch ordentlich!" Der Fahrer Hassan lächelte, anstatt sich zu entschuldigen. Das

brachte Selimzade erst recht in Wut, und er hätte ihn beinahe geschlagen, als Hassan - immer noch lächelnd - sagte: „Schauen Sie einmal dorthin!" Selimzade blickte unwillig nach rechts hinüber und saß starr. Rechts von der Straße breiteten sich eine grüne Wiese aus, übersäht mit bunten Blumen! Rasch stiegen die beiden aus und liefen auf die Wiese zu. Beide atmeten heftig, gierig. Die Luft trug einen betörenden Duft heran, der von den Blumen und den sattgrünen Gräsern ausging. Selimzade nahm die Sonnenbrille ab, als wolle er diesen sattgrünen, kühlen Duft auch optisch wahrnehmen. Ihm war, als könne er ihn tatsächlich sehen. Aufgeschreckte Lerchen stiegen trillernd aus dem Gras empor, in den Himmel hinein, torkelten über den Köpfen der Männer umher wie Falter und sangen aus vollem Herzen nun doppelt so

laut, doppelt so froh. Selimzade blickte über die tulpenbedeckten Matten hinweg, Tulpen, so weit das Auge reichte, und lächelte wehmütig:

„Wie lange mag es her sein, dass ich so eine Wiese zum letzten

Mal gesehen habe?"

Der Fahrer Hassan blickte ebenfalls über die Wiese und zu den in der Ferne liegenden ßergen hinüber, hörte nichts, nur die Lieder der Lerchen, das Wispern der Gräser und der Blumen. Selimzade, der bemerkte, dass Hassan ihm gar nicht zuhörte,

redete mit sich selbst: „Genau dreizehn Jahre ist das her. Die wissenschaftlichen Arbeiten haben mich ganz schön beschäftigt. Zuerst die Kandidatur, dann die Promotion...  ßis ich schließlich aus diesem Gehetze heraus war und ins Ministerium

kam." Er blickte wieder über die Wiesen und räusperte sich. „Früher, als ich noch ein Kind war, meinte ich, die Brust würde mir zerspringen, wenn ich einmal ohne die heimatlichen Wiesen leben müsste. Aber man gewöhnt sich an alles. Auch an die

Trennung von lieben Menschen und von der heimatlichen Erde."Ganz in der Nähe ließ sich ein Frankolin3 hören: bipp-bibi-

bipp-bibi... biip-biibi-bipp-bibi...

Es fehlte nicht viel und Selimzade wäre hingelaufen. Aber dann

schämte er sich, blieb stehen und wandte sich Hassan zu:

„Weißt du, was es sagt?"

„Ich weiß."

„Wirklich?"

„Es sagt: 'Hilfe, sie haben mieb!"'

Selimzade trat näher an Hassan heran:

„Hm, in unserer Gegend gab es viele von dieser Fasanenart. Die Ohren klangen einem von früh bis spät von ihren Schreien." „Früher musste ich auch oft aufs Land", antwortete der Fahrer Hassan. „Aber ihr Vorgänger war ein langweiliger Mensch, kam von der Stadt nicht los ..." Ein Schwarm Wildtauben stieg flatternd auf und ließ sich auf den Telegrafendrähten am Straßenrand nieder. Gleichzeitig kam von dort, wo die Tauben aufgestiegen waren, ein Fuchs zum Vorschein, stutzte beim Anblick der Männer und trollte sich dann davon. Hassan brüllte: „He da, die Buschrute! Haltet ihn, lasst ihn nicht durch!" Der Fuchs verhoffte, sicherte nach allen Seiten. Als er niemanden bemerkte, strich er ab. Selimzade Iachte, bis ihm die Backenknochen wehtaten. Dann wischte er sich die Tränen aus den Augen und sagte: „Genau so, ganz genau so haben wir auch in meiner Kindheit den Fuchs zum Narren gehalten!"

Ein leichter Wind war aufgekommen. Er wehte von den Bergen herüber, trug den Duft von Ehrenpreis, von Blumen, von feuchtem Erdreich mit sich.

Langsam schritten sie dahin. Das Gras unter ihren Füßen war weich, zart, wurde unter ihren Schritten zu Boden gedrückt, richtete sich aber gleich wieder auf. Hassan, mit seinem ungeschlachten Körper und seinen Füßen wie Eichklötze, ging mit kindicher Leichtfüßigkeit weiter, rührte an keine der blutroten, wilden Tulpen. Aueh Selimzade begann vorsichtiger aufzutreten und hatte plötzlich das Gefühl, sich bei Hassan entschuldigen zu müssen. Er wollte sagen: „Verzeih, ich habe dich vorhin gekränkt!" Aber Hassan schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, seine Augen lachten, mit seinen Händen umfasste er die Tulpen zärtlich und betrachtete sie. Jetzt erschien er Selimzade ganz klein, beinahe wie ein Kind. Er fürchtete, mit diesen zarten, zitternden Händen würde der Fahrer nie wieder ein Auto lenken können, und selbst, wenn er es könnte, würde er bei einer Panne außerstande sein, auch nur einen Reifen zu wechseln. Jetzt füllte der Fahrer Hassan seine Hände voll mit Blüten, blies und wirbelte mit seinem Atem Blütenblätter und Blitenstaub der Tulpen durch die Luft. Nur die Stängel und die

an der Spitze der Stängel einem Muttermal ähnelnden schwarzen Stempel blieben stehen.

Der Fahrer Hassan hätte sich am liebsten der Länge nach in

diesem sattgrünen, weichen Gras ausgestreckt, aber er schämte

sich vor Selimzade.

Zur Seite blickend, bemerkte er, dass Selimzade ihn eigenartig

musterte. Er schien unruhig zu sein. ßeide wandten die Blicke

voneinander ab. Schließlich murmelte Hassan:„Ich... möchte mal auf die andere Seite da hinüber."

„0!", machte Selimzade erfreut. „Gut, sehr gut! Ich wollte nämlich gerade da auf diese Seite hin!" Zuerst langsam, dann immer schneller gingen sie auseinander.

Jeder stieg auf seiner Seite in die Senke hinunter. Auch sie war

sattgrün und voll Duft. Der Duft hier war fast sichtbar, er war

von dunkelgrüner Farbe. Kaum war Selimzade seinen Blicken entschwunden, warf sich Hassan mit dem Gesicht auf den Boden, umfasste mit seinen Armen die weichen, sattgrünen, duftenden, zarten Gräser und Blumen, drückte sie an seine Brust, drückte sein Gesicht in sie hinein. Die Gräser in der Senke waren feucht und kühl. Die Kühle erfasste seine Handflächen, stieg über die Handgelenke hinauf bis in seine Brust und durchzog sein Herz. Jetzt war es ganz ruhig. Er legte sich auf den Rücken und sah, dass auch hier, in seiner Nähe, viele Lerchen waren, dass die Sonne da war und dass die Lerchen in den Strahlenkranz der Sonne gefallen   zu  sein   schienen,   dessen   Ränder sie  trotz   alle Bemühens nicht zu erreichen vermochten.  Dann  ging ihm durch den Sinn, dass diese die Lerchen seine Kindheit waren. Als kleiner Junge hatte er sich mit seinen Kameraden an den reißenden Stellen des Kürflusses4 aufgehalten, wie Vögel waren sie damals herumgeflattert und hatten einander ins Wasser gestoßen. Man konnte meinen, die Lerchen badeten tatsächlich in den warmen Strahlen der Sonne, denn sie kreischten nicht, sondern sangen voll Lust und ließen sich in dieser Flut, in diesem Strom des Lichtes treiben.

Noch einmal umarmte Hassan Gräser und Blüten, wieder stieg die Kühle durch seine zu hartem Stein gewordenen Handflächen, strömte mit großer Schnelligkeit in seine Brust und drang von dort in sein Herz. Jetzt aber wollte das Herz nicht ruhiger werden, sondern schlug schneller, begann zu jagen, und der Fahrer Hassan schluchzte auf.

Dieses Schluchzen währte nur einen Augenblick. Staunen ergriff Hassan. Weinte er wirklich? Er drehte sich wieder auf den Rücken und fuhr sich mit der Hand an die Augen. Die Finger spürten ein wenig Feuchtigkeit. Hassan sprang auf. In einem Atemzug rannte er die Böschung hinauf. Oben angekommen, sah er Selimzade am anderen Rand der Senke stehen. Auch der atmete schwer, auch dessen Augen waren voll Freude, voll grün duftender Freude. Als sie sich einander näherten, spürte Selimzade zunächst Beklommenheit. Er blickte nicht auf. Dann musterte er Hassan heimlich, und sofort war seine Beklommenheit wie weggeblasen. Mit klingender Stimme rief er:

„Hassan, bist du in den Blumen gelegen, oder was ist das?" Der Fahrer Hassan wurde rot. Selimzade streckte die Hand aus und nahm ihm Tulpenblätter aus dem Haar.

 Siehst du? Mann, du bist ja auch auf der Brust und am Rücken ganz grün!"

Hassan musterte den Sprecher von Kopf bis Fuß und schmunzelte plötzlich. Er streckte die Hand aus und zog gelbe Blütenblätter aus Selimzades silbergrauem Haar. Selimzade tat erstaunt:

„Nanu, was ist denn das?"

Der Fahrer Hassan sagte noch immer nichts. Er ging um Selimzade herum.

„Sieh mal an! Sie sind auch hinten ganz grün!"

„Aber nein! Das gibt's doch gar nicht!" Selimzade klatschte in

die Hände und brach in lautes Gelächter aus. Auch der Fahrer

Hassan lachte laut. Dann wurden sie still und hingen ihren

Gedanken nach. Verwunderte stellte Selimzade fest, dass seiner

Aufmerksamkeit drei Wochen lang entgangen war, wie klug

und nachdenklich die Augen Hassans waren, rein und klar wie

die Wiesen hier. Wieder kam ihm in den Sinn, wie er unterwegs

mit ihm umgesprungen war, erneut versuchte er sich bei ihm zu

entschuldigen: „Hassan", sagte er. Hassan wandte sich ihm zu

und lächelte. Erstaunt sah Semilzade, wie viel Lächeln in dieses

eine Augenpaar hineinpasste und sagte: „Ja, ja, so ist das, Has-

san!" Und der Fahrer Hassan sagte: „Ja, so ist das!"

1            Automarke

2            Siedlung in der Nähe von Baku

3            Rebhuhnartiges Feldhuhn

4            Größter Fluss Georgiens, fliesst zum Kaspisee